Arbeitssicherheit: Schon 1913 ein großes Thema
Bei Dampfkesseln nimmt es die Bürokratie ganz genau
Wer denkt, dass sicherheitsrelevante Bauvorschriften oder brandschutztechnische Bestimmungen früher lax gehandhabt worden wären, der täuscht sich. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts erließ und kontrollierte der Staat umfangreiche Sicherheitsbestimmungen – vor allem bei Schmelzöfen und Brennkesseln.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts wird das Aufstellen von Brennkesseln von der Obrigkeit scharf reglementiert und kontrolliert. Jeder der im Werk Vöhringen installierten Kessel hat eine Identitätsnummer und eine Baumusterzulassung. Zudem hat er vor der Inbetriebnahme die technische Abnahme durch den Bayerischen Revisionsverein – einem Vorläufer des TÜV – zu bestehen. Wie bürokratisch genau dabei vorgegangen wird, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1913. Wieland errichtet zwei neue Brennkessel und möchte den Kesselraum praktischerweise zum Trocknen der Lehmsteine verwenden, die zum Auskleiden der Schmelzöfen benötigt werden.
Das „Gesuch zur Aufstellung zweier Dampfkessel“ mit nicht weniger als „30 Beilagen“ geht am 21. Januar 1913 beim Königlichen Bezirksamt Illertissen ein. Bereits Anfang März treffen die Genehmigungen bei Wieland ein, freilich versehen mit der Bedingung, dass „im Kesselraum Trockeneinrichtungen nicht aufgestellt werden dürfen und überhaupt das Trocknen von Gegenständen im Kesselraum verboten ist.“
Die Werksleitung antwortet prompt: „Diese Bedingung würde uns schweren Schaden zufügen.“ Man habe für das Trocknen der Steine extra Galerien eingebaut, dort würde eigentlich nicht gearbeitet werden – vielmehr würden die fraglichen Räume „nur alle paar Monate für kurze Zeit von Arbeitern betreten, wenn die getrockneten Steine durch frische ersetzt werden.“ Und: Bei früher installierten Kesselanlagen mit Trockengalerien habe sich „niemals ein Anstand ergeben.“
Außerdem sucht man Beistand beim Bayerischen Revisionsverein. Der beruft sich aber auf § 15 Abs. I Satz 3 der „Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen“, nach dem „klaren Wortlaute … der angeführten Bestimmung (sei) eine Trockeneinrichtung an und für sich im Kesselraum nicht zulässig.“ Dem folgend lehnt das Bezirksamt das Ansuchen am 17. März erneut ab – worauf sich Wieland an die höchste Instanz, das Königliche Staatsministerium des Innern, wendet. Nicht ohne die Bereitwilligkeit zu wiederholen, „uns zu verpflichten, die Auswechslung der Steine nur vorzunehmen, wenn die Kessel außer Betrieb sind.“
Mit Erfolg: Einen Monat später erteilt das Ministerium die Befreiung von den „polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Landdampfkesseln … dahingehend, daß die im Kesselhause befindlichen Trockeneinrichtungen … nur selten und nur dann betreten werden, wenn die Kessel außer Betrieb sind.“
Auf dem 1929 wegen einer Erweiterung angefertigten Bauplan ist die 1913 so strittige „Gallerie (Trockenraum) gegen Kesselhaus ohne Wand“ deutlich zu erkennen.
(Copyright Staatsarchiv Augsburg: BA Illertissen/4316 - Zeichnung aus dem Schreiben des Bayerischen Revisions-Vereins)
Auch der Kgl. Bayerische Gewerberat redet einige Wörtchen mit. Es weist das Kgl. Bezirksamt Illertissen darauf hin, dass im Kesselraum „Trockeneinrichtungen nicht aufgestellt werden dürfen.“
(Copyright Staatsarchiv Augsburg: BA Illertissen/4317 - Auszug aus dem Gesuch um Genehmigung zur Aufstellung zweier Dampfkessel)
Alle Dampfkessel werden regelmäßig vom Bayerischen Revisionsverein überprüft. Hier wird dem Kessel 7403 bescheinigt, einen „Wasserdruck von 14 Atmosphären Überdruck“ überstanden zu haben.
(Copyright Staatsarchiv Augsburg: BA Illertissen/4319 - Zeugnis aus der Bescheinigung über die Prüfung der Bauart eines feststehenden Dampfkessels)
Copyright Staatsarchiv Augsburg: BA Illertissen/4316 – Urkunde über die Genehmigung eines Dampfkessels.